„John Paxson FOOOR THREEE…YES!!“ Wer Anfang der 90er Jahre die NBA verfolgt hat, wird diese Worte wohl wie selbstverständlich einem ganz bestimmten Spiel zuordnen können: Spiel 6 der 93` Finals, Barkley`s Phoenix Suns mit Heimrecht vs. MJ`s Chicago Bulls. Es sind noch 14.1 Sekunden im letzten Viertel zu spielen, Chicago liegt 2 Punkte zurück und ist im Ballbesitz. Phil Jackson nimmt seine letzte Auszeit, malt ein Play auf sein Board. Dann steht MJ an der Seitenlinie, wirft den Ball zu BJ Armstrong ein, kriegt in postwendend zurück. Er dribbelt nach vorne, passt zu dem sich an der Birne anbietenden Scotti Pippen. Pippen zieht an Kevin Johnson und dem zum Doppeln herbei eilenden Barkley vorbei in die Zone, wo sich Danny Ainge und Mark West sofort auf ihn stürzen, woraufhin Scotti den Ball zum nun von Marc West befreiten und von links zum Korb cuttenden Horace Grant weiterpasst, welcher, obwohl er fast schon auf halbem Weg zum Korb zu sein scheint, sofort wieder zu dem an der 3er Linie völlig frei stehenden John Paxson herauspasst. Der Rest ist Geschichte.

Im Kopf haften bleibt das Bild, wie John Paxson nach seinem versenktem 3er mit zur Hallendecke gereckten Armen zurück zur komplett aufgesprungen und ihm wild entgegen hüpfenden Bulls Bank zurücksprintet.

Dass Phoenix zu dem Zeitpunkt noch paar Sekunden auf der Uhr übrig hat, daher noch eine Auszeit nimmt und dann im folgendem direkten Gegenangriff durch Kevin Johnson tatsächlich noch die Chance zum Sieg bekommt, KJ aber bei seinem Versuch den Spiel entscheidenden Wurf in letzter Sekunde zu versenken blitzsauber von Horace geblockt wird, werden nur noch die wenigsten in Erinnerung haben. Hängen bleibt der perfekt ausgeführte letzte und alles entscheidende Spielzug der Bulls, bei dem jeder Bulls Akteur den Ball kurz in Händen gehalten und am Ende tatsächlich ein Spieler die Meisterschaft entschieden hat, der nicht Michael Jordan hieß.

Das Play zeigt für mich exemplarisch, warum die Bulls mit Michael Jordan Championships zu gewinnen begannen. Warum sie es in den 91er Playoffs nach zuvor 2 höchst frustrierenden Playoff Exits gegen die Bad Boys aus Detroit im 3. Anlauf dann doch an den Pistons vorbei in die Finals schafften und dort die Lakers nach 0-1 Rückstand noch mit 4 Siegen in Folge phasenweise geradezu überrannten.

Phil Jackson war es in mühsamer Kleinarbeit und sicher Abend füllenden Zwiegesprächen gelungen, MJ von etwas zu überzeugen, was im Jordan-Universum jahrelang nicht wirklich existent gewesen war: Teamplay.

Um zu verstehen, wie schwer es gewesen sein muss, Jordan an den Punkt zu bringen, dass er nicht spätestens in der Crunch Time glaubte automatisch jeden Ball für einen vermeintlich folgenden, alles entscheidenden Wurf in Händen halten zu müssen, sondern vielleicht auch mal einen seiner Mitspieler das Vertrauen zu schenken, sei kurz folgende kleine Anekdote erzählt, die Jordan auch in seiner Hall of Fame Rede zum besten gab.
Als die Bulls in einem Saisonspiel eine Weile der Musik hinterherliefen, immer schön konstant Ihre 10 Punkte hinten lagen, riss Jordan kurzer Hand das Spiel mal wieder an sich, scorte in der Folge 25-30 Punkte von vermutlich insgesamt noch 32 erzielten Körben der Bulls und gewann das Spiel im Alleingang.

Nach dem Spiel konnte dann offensichtlich Tex Winter, Phil Jacksons Assistenztrainer, Mastermind und Erfinder der Trangle-, Team orientierten Offense nicht mehr an sich halten und kritisierte MJ noch auf dem Parket mit folgenden recht unmissverständlichen Worten: „There is no „i“ in team!“. Darauf Jordan lapidar: „There ain`t „i“ in team, but there is „i“ in win“. Ende des Gesprächs.
So verstand MJ das Spiel: „I do anything to win“. Deutliche Gewichtung auf „i“.

Selbst als die Bulls im Jahre 96`einen Rekord für die Ewigkeit aufstellten und 72 von 82 Saisonspielen gewannen, wäre wohl niemand so wirklich auf die Idee gekommen, die Bulls als die Mannschaft mit dem besten Teamplay aller Zeiten zu bezeichnen. Wobei u.a. diese Frage natürlich im Jahre 1996 in den USA landauf, landab in jeder Sportsendung bis zum Erbrechen diskutiert wurde, sicherlich nicht wenige, ob dieser Fabelsaison, an deren Ende dann ja der 4. Titel nach Chicago ging, eben dieser Meinung waren. Michael Jordan der beste Spieler, die 96er Bulls das beste Team aller Zeiten. Besser als Bill Russels 65er oder Larry Birds 86er Celtic`s, besser als Magic`s 87er Lakers. V.a. die letzt genannten beiden stechen in der Meinung der wohl meisten ernst zu nehmenden NBA Kapazitäten als die bisher spielstärksten Teams überhaupt heraus. Wobei ich hier gerne ein Wörtlein in dem Satz dick untersteichen würde: „bisher“.

Denn wer dieses Jahr ein wenig die Saison und dann vielleicht noch etwas mehr die Playoffs verfolgt hat, dem dürfte doch irgendwann aufgegangen sein, dass gerade ein Team so ziemlich alles bisherige in Sachen Ball-Sharing in den Schatten stellte, was so die letzten Dekaden die Liga an Teams bevölkert hatte: Die San Antonio Spurs 2014. In meinen jungen Augen schlicht eines, wenn nicht das spielstärkste NBA „Team“ aller Zeiten. Wie ich das hinausposaunen, weil beurteilen zu glauben meine, ohne jemals Larry Legends Celtics oder den Showtime-Ballern aus L.A. live und möglichst in voller Saisonlänge zugesehen zu haben? Gar nicht. Genauso wenig, wie man ernsthaft Michael Jordan als den GOAT preisen kann, ohne jemals Oscar Robertson live spielen gesehen zu haben. Einem Mann, der es in der Saison 1961/62 fertig brachte, in jedem einzelnen Saisonspiel mit im Schnitt 30,8 Punkten, 12,5 Rebounds und 11,4 Assists ein Tripl-double aufzulegen. Eine unfassbare, zwar nie wieder erreichte Leistung. Aber letztlich sind Spieler und Teams eben nicht vergleichbar, die zeitlich derart weit auseinander liegen. Keine Mannschaft würde z.B. heutzutage mehr 11 Meisterschaften innerhalb von 12 Jahren gewinnen, wie zu Bill Russels Zeiten.

Gregg Popovichs Spurs hatten, seit er 96 das Traineramt übernahm, immer eine stark teamorientierte Offensivausrichtung. Aber nicht immer hatte er über die Jahre ein derart homogenes und mit kübelweise Basketball IQ gesegnetes Roster wie dieses Jahr beisammen. Es gibt im Netz Spielsequenzen zu sehen, die Basketballpuristen die Tränen in die Augen treiben. Man kann dabei fünf Spielern bei der ultimativen und zumeist am Ende höchst erfolgreichen Suche nach dem am besten positionierten Mitspieler für einen hochprozentigen Korbabschluss zusehen. Das spiegelt auch letztlich die Saisonstatistik wieder: Mit Tony Parker (16,7 Pt), Tim Duncan (15,1 Pt), Manu Ginobili (12,3 Pt), Kawhi Leonard (12,8 Pt), Marco Belinelli (11,4 Pt) und Patty Mills (10,2 Pt) punkteten 6 Spieler in jedem Spiel zweistellig,Boris Diaw und Danny Green versenkten immerhin noch jeweils 9,1 Pt im Korb, Tiago Splitter noch 8,2 Pt. 5 Spieler warfen dabei mit einer Quote von gut 50% aus dem Feld, keiner der genannten schlechter als 43%, was natürlich auch für eine gute Wurfauswahl spricht. Weiterhin auffällig: Keiner der Spieler stand dabei länger als 30 Minuten auf dem Feld. Pop konnte dank des ausgeglichenen Rosters die Spielzeit fein streuen, spielte mit einer breiten Rotation und konnte damit seine gealterten Stars schonen. Dass die Spurs sich in der ersten Playoff-Runde gegen die Mavs erstmal über 6 Spiele quälen musste, um dann im alles entscheidenden 7. Spiel Dallas mit phasenweise 30 Pt Vorsprung zu deklassieren, lag wohl schlicht daran, dass die alten Herren erstmal ganze 6 Spiele brauchten um wieder ausreichend Fahrt aufzunehmen, nachdem sie Pop die letzten Saisonspiele zur Schonung für die Playoffs mitunter gar nicht mehr hatte spielen lassen- was die Spurs aber in der Endabrechung nicht daran hinderte, mit 62 Saisonsiegen die beste Bilanz der Liga hinzulegen.

Die weiteren Playoffrunden wurden ausgeruhte Spurs dann kontinuierlich stärker, kamen in jeder Runde souverän weiter, um dann in den Finals auch den Heat letztlich nicht im Ansatz eine Chance zu lassen.

Selten dominierte in den Finals ein Team so spielerisch das andere wie die San Antonio Spurs 2014 den Champion der letzten beiden Jahre. Die letzten 3 Spiele der Serie wurden mit 20 Pt Differenz gewonnen. Selbst die Rockets um Hakeem „The Dream“ Olajuwon, die 95`ein hoch talentiertes Orlando Magic Team mit Penny Hardaway und Shaquille O`Neil in den Finals 4-0 sweepten, dominierten nicht derart Ihren Gegner.
Wie während der regulären Saison, waren auch in den Finals 2014 reihenweise Spielzüge zu sehen, die einen schwer an ein gewisses Bulls-Play des Jahres 93` erinnerten. Dabei machte das ganze Team Tim Duncans Nickname „The Big Fundamental“ alle Ehre: Da wurden in Serie blitzsaubere Blöcke gestellt, präzise abgerollt und dem abrollenden Spieler auch der Ball in die Hand gedrückt- und das mehrmals in einem Angriff. Auch wenn vieles von außen improvisiert oder sich aus der Situation zu ergeben schien, sah man dann eigentlich fast nie einen Spieler falsch zum Ball stehen, den falschen Laufweg nehmen oder einen unpräzisen Pass spielen. Jeder Spieler beherrschte die Basics des Spiels und wusste auf dem Feld, was er zu tun hatte, unabhängig davon, wie sich der Angriff entwickelte. Dabei mutierte der überragende Boris Diaw zu einem Schlüssel-, weil Unversalspieler, der jede Position auf dem Feld besetzen und dann dort auch etwas kreieren konnte. Diaw damit als eine Art neuen Pointforward zu bezeichnen, wäre angesichts seiner grandios vielseitigen Performance eine glatte Untertreibung.

Und unter den Körben machte spätestens ab Spiel 3 zum Leidwesen der Heat dann auch noch eine Flugschule auf. Die Heat schienen gewillt solange auf Wurffinten der Spurs eingehen zu wollen, bis auch der letzte Heat Akteuer einmal quer durch die Zone geflogen war. Erik Spoelstra fand zu keinem Zeitpunkt eine Defensivformation, um die Spurs nachhaltig an Ihren Passstafetten zu hindern. Wobei das wohl weniger am Trainer lag, als vielmehr an der Limitiertheit mancher Heat Spieler. Spätestens nach dem 4 oder 5 Pass, verloren die Jungs die Übersicht, wurde eine geordnete defensive Rotation gegen eine wilde Hühnerhaufenformation eingetauscht. Chris Andersen und Udonis Haslem konnten einem dabei schlicht nur sehr leid tun, da der Backcourt um Dwyane Wade, Mario Chalmers und Norris Cole gerne Mal bei Angriffen der Spurs nach wenigen Pässen implodierte und sich die großen Jungs unter den Körben viel zu oft mehreren in die Zone eindringenden Spielern gegenüber sahen. Lebron James? Der spielte sicherlich keine schlechten Finals. Tja, aber mehr muss mir zu ihm an der Stelle hier dann auch nicht einfallen, wie mir scheint.

Die Finals MVP Trophäe hätte man sich 2014 durchaus mal sparen können. Trotzdem musste dann ein Spieler damit bedacht werden und Kawhi Leonard bekam sie angesichts seiner Auftritte ab Spiel 2 auch verdient. Aber er stach eben nicht heraus aus seinem Team. Und das lag zweifelsohne an der Spielidee, die Gregg Popovich seinen Jungs mitgegeben hatte. Ob ein Boris Diaw, Patty Mills, Tiago Splitter oder ein Matt Bonner auf Feld standen. Die Ausrichtung des Spielsystems änderte sich nie. Tony Parker, Manu Ginobili und Tim Duncan mussten während der Saison nie wirklich lange an Ihr Limit gehen. Und es ist zu erwarten, dass sie das, sollten die Spurs von Verletzungen oder großen Rosterumbildungen verschont bleiben, auch nächste Saison nicht tun werden müssen, Ihnen womöglich wieder eine lange Saison bis in den Juni hinein bevorstehen könnte.

There is no“i“ in team. Gregg Popovich dürfte an dieser Stelle von MJ`s Hall of Fame Speech ausgiebig geschmunzelt haben..